Vertrauen statt Angst - und alles fügt sich
Es gibt Fragen, die Reisenden wahrscheinlich immer gestellt werden: Woher und wohin?
Das werde ich auch gefragt. Aber noch häufigster muss ich beantworten, ob ich keine "mieda", Angst habe, da ich "sola", allein unterwegs bin. Nein, ich habe keine Angst.
"Vijajo con dios." ist meine Standardantwort geworden - ich reise mit Gott.
Und allein bin ich ja nicht wirklich. Der weise Mann Don Socke und die Zimtschnecke Canela sind mit mir. Und die Apus. Das sind die Götter der Berge, die in der andinen schamanischen Tradition verehrt werden. Es gibt die überregionalen - für mich ist das der heilige Lanin - und die großen und die kleinen für die Region oder das Tal. In jedem Tal, das ich betrete, bitte ich um ihren Segen und Schutz.
Die Apus begleiten uns
Don Socke und Canela
Irgendwann in meinem Leben habe ich Angst gegen Vertrauen getauscht. Vielleicht wurde mir dieses Vertrauen auch schon in die Wiege gelegt. "Fürchtet dich nicht…" wurde mit der Taufe über mein Haupt gegossen.
Außerdem begleitet mich der Spirit des Kondors. Er war der erste, der mich begrüßt hat, als ich schon spät am Tag und erschöpft nach fast 40 Kilometern das Tal des Arroyo Buta Mallin erreichte. So nah und auf Augenhöhe kam er vorbeigesegelt, um sich dann an einem Felsen in unmittelbarer Nähe auf seinem Nachtlager niederzulasssen. Ein magischer Moment!
Das war meine Begrüßung! Willkommen in der Welt der Berge. Und wie willkommen ich mich fühle!
Den Zeichen folgen
Alles, was mir wiederfährt, ist Teil meiner Reise. Alles. Ich sauge alles auf, achte auf die kleinen und großen Zeichen und folge ihnen.
Die Zeichen und die Reise haben ja schon lange vor der Ankunft in Argentinien begonnen... Drei Wochen vor dem Abflug sagte mir der Handwerker, bei dem ich Anfang Oktober Packsattel und Taschen bestellt hatte, ab. Alles war fertig und versandtbereit. Da triggerte eine meiner Fragen zur Funktion der Taschen den selbstbewussten Mann derart, dass ich postwendend eine Whatsapp erhielt: Er hätte nun keine Lust mehr mir den Sattel samt Taschen zu verkaufen - ich solle dort, wo ich reite das Equitment beschaffen, die wüssten am besten, was taugt.
Auweia. Da hatte ich offenbar eine tiefe Wunde berührt.
Glücklicherweise hatte mir das Leben vorher ausreichend Gelegenheiten geschenkt, in denen ich mich mit deratig unangemessenen Reaktionen auseinander setzen konnte. Ich habe gelent, dass das nichts mit mir, sondern mit der tief im Herzen verletzten Person zu tun hat.
Trotzdem verschaffte mir die fehlende Ausrüstung für mein Packpferd kurzzeitig mächtig Stress. Woher soll ich in drei Wochen einen Sattel samt Taschen herbekommen? Noch ganz aufgeregt berichte ich einem Freund, mit dem ich den teuren Sattel gemeinsam kaufen wollte und dessen Anteil schon auf meinem Konto lagerte, von der Pleite.
"Handwerker eben," war sein ernüchternder wie gelassener Kommentar.
Doch auch ich hatte schon wieder ein Grinsen im Gesicht. Ein typisches Scheitern - die Heldenreise lässt grüßen. An einem Punkt, wo bisherhige Methoden, Wissen oder Annahmen versagen, geht die Saat des Unbekannten auf. Neues kann entstehen.
Meine Kreativität gab Vollgas. Ich nahm Kontakt mit Menschen auf, von denen ich wusste, sie sind mit Packtieren unterwegs.
⦁ Danke liebe Caroline Wolfer für dein Angebot, mit deinen geschichtsträchtigen Packsattel losreiten zu können. ⦁ Danke liebe Tina Boche für den Kontakt zu Karl Schwazer. Er hatte zwar keinen Sattel übrig, aber Packtaschen, die er mir umgehend schickte. Und die Aussicht auf einen Packsattel für meine nächste Reise.
Vor zwei Jahren, als in mir die Idee schon einmal keimte, allein zu reisen, hatte ich einen alten ROC Sattel erworben, den ich als Packsattel nutzen wollte. Nun kommt er doch noch zum Einsatz. Da ich ja noch kein Packpferd besitze, bleibt ausreichend Zeit, mich mit der Ausrüstung zu befassen. Ich baue Riemen und Spanngurte an den Packsattel und versuche Karls Packtaschen zu befestigen. Mein Gott! Sind die riesengroß. Darin verschwinden meine Sachen und purzeln kreuz und quer. Ich tüftle weiter und beschließe, sie zu verkleinern.
Leider aber hat Loncopue keinen Schuster oder einen Handwerker mit einer Nähmaschine, die den festen Stoff und die Lederverstärkungen nähnen könnte.
"Meine Mutter nähte früher für Leute" mit dem Tipp meiner Gastgeberin, Hoffnung und einer Packtasche unterm Arm ziehe ich los ins pueblo.
Nach einer Runde Mate erkläre ich meine Wünsche. Aufmerksam hört die Schneiderin zu, um dann festzustellen: Das schafft meine Maschine nicht. Der massive Stoff kann vielleicht einfach genäht werden, aber doppelt - keine Chance. Enttäuscht rolle ich die Tasche zusammen.
"Kann ich hier irgendwo Packtaschen kaufen?" "Klar, komm, wir gehen hin." Im Laden von Tio Chino gibt es alles was das Gauchoherz begehrt. Auch Packtaschen. Ich sichere mir die beiden einzigen: "Die nehme ich." Der Preis ist mir egal - ohne Packtaschen kein Ritt.
Zurück in der Estancia probiere ich die Taschen am Sattel. Schnell ist klar, dasss es einige Veränderungen braucht: Haken, Schnallen und vor allem Nähte, die unterwegs nicht auftriefeln. Auch dafür gibt es eine Lösung: die kleine Nähmschine der Schneiderin. Nachdem meine Ergänzungen an den Taschen angebracht sind, fühle ich mich ziemlich gut ausgestattet. Was jetzt noch fehlt, wird sich während der Reise herausstellen.
Canela mit den neuen Packtaschen
Auch das fehlende Packpferd ist mittlerweile in Sicht: Canela, eine Stute. Nicht groß, nicht jung. Dafür erfahren, aufgrund der Größe gut zu beladen und manso, also zahm. Sie wird nicht gleich flüchten, wenn ich irgendwelche Packfehler begehe.
Das klingt nach einem perfekten Pferd für mich. Canela ist weiß und hat kleine zimtfarbene Punkte im Fell, was ihr den Namen bescherte. Sie ist wirklich sehr lieb. Anfangs fürchte ich, sie sei "tod-lieb", gebrochen und ohne Willen. Doch unterwegs formuliert sie mir deutlich ihre Wünsche. Nicht immer hinten laufen müssen, zum Beispiel. Darüber bin ich anfangs ärgerlich. Auf den schmalen, gerade mal pferdebreiten Pfaden in den Bergen sollte das Packpferd nicht herumtanzen und eigene Wege suchen. Das versteht Canela, als ich ihr das erkläre und läuft brav hinterher. Doch sobald sich der Weg weitet, kommt sie nach vorn, läuft neben und manchmal auch vor mir.
Und auf einmal verstehe ich sie.
Ich selbst hatte fünf Jahre lang ihre Position. Ich ritt immer hinterher, die Landschaft vor den Hinterteilen der Pferde betrachtend. Auf einmal sehe ich Canelas Freude am Entdecken. Auf einmal sehe ich den Spiegel darin: ausgetretenen Pfade verlassen, eigene Wege gehen, den nächsten Entwicklungsschritt gehen. Mit dieser Erkenntnis kann ich Canela gar nicht mehr böse sein. Sie spiegelt einfach nur einen Teil von mir. Zärtlich streiche ich über ihre kurz geschorene Mähne:
"Danke, mein liebes Pferdemädchen."
Meine beiden! Ich bin so dankbar für unsere gemeinsame Reise. Don Socke, der genau wie ich an der Herausforderung gewachsen ist und Canela, die mir zeigt, dass es Zeit ist, ausgetretene Pfade zu verlassen und selbst nach vorn zu gehen.
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