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Schneesturm, Pumaspuren und verschwunde Pferde

17.12.2018

Pino Hachado, Provinz Neuquen, Argentinien

Ich liege und lausche dem Fallen des Schnees. Nichts Ungewöhnliches im Dezember. Zu Hause in Deutschland. Doch ich liege 15.000 km entfernt auf der Südhalbkugel im Zelt auf 1700 Metern über dem Meeresspiegel. Hier ist Frühsommer. Mit Neuschnee in der sonst so trockenen Region der Araukarien, der Andentannen, haben wir nicht mehr gerechnet.

Bevor mich das monotone Rieseln der Schneeflocken auf das Zeltdach in den Schlaf befördert, ziehen die letzten drei Tage an mir vorüber.

Eine Woche nachdem ich meine Bürostuhl für immer verlassen habe, stehe ich mit mit Roland, meinem Partner, Söckchen, Jefe und Inan unseren drei Pferden auf dem alten Vulkankrater des Batea Mahuida, nördlich von Villa Pehuenia. Ich blicke nach unten auf den Kratersee und genieße den unendlichen Blick auf die Anden-Cordillere bis weit nach Chile. Der Aufstieg auf 1965 Meter war anstrengend. Noch bin ich untrainiert und Söckchen, mein Criollo-Mix, der mich seit 2014 durch die Anden begleitet, ist nach der Winterpause auch noch nicht richtig fit. Wir brauchen eine Weile, um unseren Rhythmus zu finden: Laufen, laufen, stehen. Roland mit seinem neuen Reitpferd Inan und Jefe, dem Packpferd sind weit vor uns. Oben genießen wir nur kurz den unglaublich weiten Blick und das Gefühl von Freiheit. Dann pustet der eisige Wind uns weiter. Wir müssen den Abstieg nach Nordosten finden, der üblicherweise nicht gegangen wird. Doch unsere Route entlang der Andenkette, die Roland monatelang geplant hat, führt uns auf wenig oder gar nicht begangene Pfade. Wir hangeln uns an der steilen Abbruchkante entlang. Nach vier Kilometern finden wir einen steilen, aber gut begehbaren Bereich aus Vulkanasche, den wir mehr hinunter rutschen als gehen.

Auf dem Batea Mahuida

Lago Alumine

Erschöpft von diesem ersten Reittag falle ich todmüde in den Schlafsack, nachdem die Pferde versorgt und das Nachtlager gerichtet ist. Für die nächsten fünf Monate habe ich dieses Leben mit den Pferden in der Natur gewählt. Raus aus der Komfortzone, rein ins Abenteuer.

Der nächste Morgen begrüßt uns mit wärmenden Sonnenstrahlen. Nur sehr kurz. Dann schieben sich dich dicke Wolken vor die Wärmequelle und der eisige Wind fordert die Daunenjacke. Die nächsten Tage finden wir immer wieder gute Lagerplätze für die Nacht. Bei starkem Regen flüchten wir uns in Puestos, den Außenstellen der Estancias in den Bergen. Die Gauchos leben im Moment noch nicht dort, weil die Rinder- und Schafherden noch nicht in die hoch gelegen Weidegründe getrieben wurden. Unsere Pferde sind hoch erfreut, sie finden frisches, jungfräuliches Grün. Auch für uns bereichert frischer Löwenzahnsalat die Vitaminversorgung.

Wir erreichen Pino Hachado, eine Grenzstation der Gendarmerie nach Chile. In diesem Abschnitt des Tals lebt nur Hernan mit deinen Pferden und Huskies. Am kommenden Tag wollen wir den Pass oberhalb der Mallin de Mendosa bezwingen. 2000 Meter über dem Meeresspiegel. Der Abstieg auf der anderen Seite ist allmählich, zieht sich aber über 10 Kilometer auf einer Höhe von ca. 1700 m hin. Das erfordert Zeit und stabiles Wetter. Gegen 14 Uhr stehen wir vor dem Pass und meinen, dass er mit Pferden gut bezwingbar ist. Trotzdem entschließen wir uns heute umzukehren und suchen ein Nachtlager windgeschützt 200 Meter weiter unten. Eine Gemeinschaftsentscheidung, wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen. Für mich ist es zu spät am Tag, den Pass und den ungewissen Abstieg anzugehen. Roland betrachtet mit Sorge, wie sich das Wetter entwickelt.

Wie gut denke ich, als ich vier Stunden später im Zelt dem Schneegestöber lausche.

„Ich habe die Pferde lange nicht mehr gehört,“ weckt mich Roland am nächsten Morgen. Wir öffnen den Zeltreißverschluss und schauen auf eine fünf Zentimeter hohe Neuschneedecke. Araukarien, die Andentannen oder bei uns auch als Affenschwanzbaum bekannt, im Schnee. Unglaublich! „Die Pferde sind weg!“ ruft Roland entsetzt. Das ist uns auf den vielen Tausend Kilometern, die wir in Patagonien unterwegs sind, noch nie passiert. Seltsam, unser kleiner Wanderreitzaun, dessen Netzteil mit Batterien betrieben ist, steht unversehrt. Die Pferde müssen darüber gesprungen sein.

Wir überlegen kurz. Dann packen wir Schlafsäcke und ein wenig Lebensmittel ein und machen uns auf die Suche. Wahrscheinlich ist, dass sich die drei ins Tal begeben haben und an unserem alten Biwakplatz mit gutem Futter grasen. Obwohl ich alle meine Kleidungsstücke angezogen habe, friere ich beim Abstieg. Der eisige Wind kühlt bis auf die Knochen aus. Immer wieder bleiben wir stehen, pfeifen und rufen. Normalerweise kommen unsere Pferde bei diesem Signal. Doch der tosende Wind schluckt alles. Und der Neuschnee der Nacht hat alle Spuren verdeckt. Nichts ist zu sehen.

Nach 1,5 Stunden kommen wir im Tal an. Von unseren Pferden keine Spur. Wir wollen uns von Hernan, dem einzigen Bewohner hier, Pferde leihen und suchen. Doch auch von ihm und seinen Pferden fehlt jede Spur. Wir trampen die wenigen Kilometer zu der argentinischen Zollstation. Dort werden wir freundlich aufgenommen, unser Problem wird diskutiert und uns Hilfe angeboten. Wir fahren eine Teilstrecke mit dem 4x4 Pickup zurück in die Berge.

Ab dort steigen zu Fuß in Richtung unseres Lagers auf. Der Schnee ist inzwischen geschmolzen. Jorge, einer der Polizisten, macht mich auf frische Pumaspuren aufmerksam. Wir schauen genauer und suchen das Gelände ab. Tatsächlich. Wir finden Galopp-Spuren von zwei und später drei Pferden und parallel dazu Pumaspuren. Oh, mein Gott! Was ist in der Schneenacht hier passiert? Werden wir unsere drei unverletzt wieder finden? Schafe, Rehe und Fohlen stehen auf dem Speisezettel der Pumas, die gerade Nachwuchs zu verpflegen haben. Ausgewachsene Pferde nicht. Trotzdem sind wir in Sorge

„Feliz navidad,“ frohe Weihnachten, rufen die Gauchos und schließen mit einem lauten Krachen den Kofferraum des PKW. Wenige Augenblicke zuvor hatten die drei Männer darin zwei lebende Schweine mit gefesselten Füßen verstaut. Auf dem Rücksitz hat ein großer, weißer Hafersack mit einem toten Schaf Platz genommen. Die Feiertagsversorgung. Bis zum 26. Dezember sind die Arbeiter bei ihren Familien im 10 Kilometer entfernten Loncoupe. Inzwischen genießen wir die Ruhe und Sicherheit auf der Estancia St. Isabell. Wir teilen uns den den gut beschatteten Platz inmitten der zahlreichen Pappelreihen in der sonst baumlosen, der gnadenlosen Sonne ausgesetzten Ebene des Arroyo Yumu Yumu mit drei Hunden, einer Hühner- und Entenschaar, Pferden, Ziegen und den verschiedendsten Vogelarten.

Nach den aufregenden und anstrengenden Tagen in den Bergen, freuen wir uns auf ruhige Feiertage.

Den längsten Tag des Jahres, dem 21. Dezember, verbrachten wir am Ufer des Rio Haichol, der ein beeindruckenden Cañon in die Landschaft gefressen hat. Zelt und Pferdekoppel sind aufgeschlagen, da überqueren drei Reiter mit einem Packpferd den Fluss und kommen direkt auf uns zu. Wanderreiter wie wir? In dieser menschenleeren Gegend? Erstaunt schauen wir der Gruppe entgegen. Ich erkenne bewaffnete Gendarme. Sie begrüßen uns ebenso erstaunt und kühl. Wir werden ausgefragt. Unsere Reisepässe werden kontrolliert und fotografiert. Die uniformierten Männer, ein erfahrener schätzungsweise in meinem Alter, der das Packpferd führt und zwei Jüngere sehen sehr müde aus. In der Nacht hat ein Puma die Pferde aufgeschreckt, warnen sie uns. Auch ihre Pferde sind geflüchtet. Wir wissen sehr genau, wovon sie sprechen. Wer weiß, wie lange sie suchen mussten. Wir hatten vor einer Woche Glück oder sehr treue Pferde? Nach fünf Stunden erfolgloser Suche kehrten wir zu unserem Lager zurück. Dort schauten uns unsere drei Pferde verwundert an: Woher kommt ihr denn jetzt? Wir sind glücklich, alle drei sind unversehrt.

Die Warnung der Gendarme nehmen wir sehr ernst. Roland baut ein „Windspiel“ aus Topfdeckel und Blechtasse, dass bei dem tüchtigen Wind in der Nacht, auch dem Puma nicht verborgen bleiben kann. Ich unterstütze die nächtliche Aktion mit Trommeln.

Die Weidezeit in den Bergen hat noch nicht begonnen. Die Rinder- und Schafherden mit den zugehörigen Gauchos sind noch im Tal. Außer uns und der Gendarmerie ist hier oben noch keiner. Die Pumas, die sich sonst am reich gedeckten Tisch mit Lämmern und Kälbchen bedienen, sind hungrig. Auch ihr Nachwuchs will versorgt werden. Diese für uns neue Situation beschert uns Nächte mit wenig Schlaf. Wie Trapper halten wir unser Feuer die ganze Nacht am brennen. Der Vollmond erhellt die sonst dunkle Nacht und unterstützt unsere Aufmerksamkeit.

Ziemlich müde pellen wir uns jeden Morgen aus den Schlafsäcken. Doch die faszinierenden Ausblicke am Tage lassen die Müdigkeit verschwinden. Zwischen den Gipfeln des Los Potreritos mit 2618 m und dem Rahue mit 2715 m bewegen wir uns über Pässe mit über 2000 Höhenmetern. So nah war ich dem Himmel mit Pferden noch nie.

Nun hat uns die Ebene zurück. Vor der nächsten Bergquerung erholen sich unsere Pferde einige Tage auf den fetten Weiden und wir tanken unsere Lebensmittelvorräte auf.

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