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Wilde Weiber und initiierte Mütter

Ich nehme dich mit auf ein Wochenende unter wilden Weibern. Das hat nichts mit Karneval zu tun. Wilde Weiber sind initiierte Frauen, die in Verbindung mit Mutter Erde und den Rhythmen des Lebens leben. Sie brechen aus dem patriarchalen Prinzip aus und beugen sich nicht länger dem Druck nach immer mehr. Wer aus dem Höher-Schneller-Weiter-Wettbewerb aussteigt, hat wieder Raum für das wirklich Wesentliche im Leben. Wilde Weiber leben ihre Weiblichkeit und geben uraltes Wissen weiter.


Viel Freude bei deinem Streifzug:


Verbrenne alles, was du glaubst zu sein


Wenn das Wilde in dir sprechen darf und wilde Weiber in Kreis sitzen


Die Sonne ist untergegangen und hat ihre wärmenden Strahlen mitgenommen. Dunkelheit hat sich über das einsame Seminarhaus mitten in Bayern gelegt. Es wird schon schnell dunkel, jetzt im Herbst. Im Schein des Feuers sehe ich die Gesichter der Frauen – nachdenklich in die Flammen oder auf den Boden gerichtet. Auch ich hänge meinen Gedanken nach - und den Fragen des alten Weibes - namens Holle.


Wer bin ich und was habe ich nicht gelebt


Die Fragen schaben nicht nur an der Oberfläche meiner Erinnerung. Sie gehen in eine Tiefe, die ich nicht erwartet habe. Eigentlich weiß ich nicht, was ich erwartet habe. Wochenenden mit meiner Mentorin Mia Brummer gehen immer in Tiefe.


Geworden bin ich eine Frau, ein Weib, das nach und nach ihre verlorenen Anteile nach Hause holt. Jetzt im Herbst meines Lebens, jetzt beginne ich, vollständig zu werden. Zu bereuen habe ich nicht viele Dinge im Leben, weil ich fast immer das Unbekannte, das Neue gelebt habe. Ich habe mich oft für den lebendigen Weg entschieden - den Weg der Entwicklung.


Nur einmal nicht. Das Schmerzliche daran ist: es war nicht meine Entscheidung. Ich habe mich dem Willen eines anderen Menschen gebeugt, weil ich geliebt werden und ihn nicht verlieren wollte. Diese Entscheidung hat mein Leben für fast drei Jahrzehnte beeinflusst und mich verändert. Weil ich mich verachtet habe, mich schuldig gefühlt und in Grund und Boden geschämt habe. Ich habe mich verlassen. Ein dumpfes Gefühl nahm von mir Besitz: das Gefühl, nicht wert zu sein für das Leben.


Tatsächlich glaubte diese junge Frau, nicht mehr leben zu dürfen, so sehr litt sie unter dem Verlust ihres wahren Selbst und dem Verrat daran. Das Leben selbst, die große Göttin, bewahrte sie vor dem Tod. Doch der Preis war hoch. Ein Teil von ihr, von mir, ist damals gestorben. Mit diesem Anteil ging die selbstbewusste junge Frau, die bereit war fürs Abenteuer, fürs Leben und für ungewöhnliche Wege.


Ja, ich bereue zutiefst, das zugelassen zu haben. Ich bereue zutiefst diesen abenteuerlichen, forschenden Anteil, die Pionierin in mir so lange nicht gelebt zu haben.


Ich sitze im Kreis mit Frauen am Lagerfeuer, die Flammen lodern und wärmen mich.

Jetzt fühle ich diesen Anteil. Der Tod meines Herzenspferdes Luzi 2017 hat ihn wachgerüttelt. Meine fünfjährige Reise zu mir selbst hat ihn mir wieder erschlossen. Diesen halbtoten Anteil von mir habe ich in den Arm genommen und aufgepäppelt. Wie eine gute Mutter. Nun sind wir wieder verbunden miteinander und haben uns kennengelernt. Es fehlten ja über 20 gemeinsame Jahre.


Verbrenne alles, was du glaubst zu sein


Während ich am Feuer mit den anderen Frauen sitzend froh bin, zu wissen, was aus mir geworden ist, lüftet die Holle den Mantel meines Selbst. Alles was ich glaube zu sein, geht in diesem Moment in Flammen auf. Es bleibt mein Bedauern und eine Traurigkeit. Wie vergänglich ich doch bin! Die letzten Worte der weisen Frau an diesem Abend versöhnen mich und lassen mich zufrieden einschlafen:


„Die große Göttin führt dich am Ende heim und webt dich in die Zeitlosigkeit ein.“

Ja, dann ist das Leben vollendet und ein neuer Kreislauf darf beginnen.


Am nächsten Morgen erfahre kindlich unbeschwert die Schönheit des Natürlichen und meine eigene Schönheit. Gemeinschaftlich und unbekümmert spielen wir das Leben. Ich verwandle mich blitzschnell, schlüpfe in die Rollen, die mir das Leben aufdrückt. Ich bin Opfer und Täter und erlebe auch, wie ich ausgestoßen werde, wenn ich zu viel bin. Ich bin alles, Bewegung und Stillstand – alles ist in mir.



Als Kind mit ungebrochener Seele geben her, was wir haben. Aus Spaß, im Spiel und in der Überzeugung, alles wieder zurückzubekommen. Denn als Kind sind wir überzeugt davon: Wir sind einzigartig, schön und ganz bei uns selbst. Wir teilen und lachen und holen uns zurück, was uns gehört. Noch ist alles im Gleichgewicht.


Die lachenden Kinder verstummen und werden ernst, als die große Göttin hartnäckig weiter fragt:

„Kind, wann hast du dich verloren?“

Ich blättere in meinen Erinnerungen. Ich habe mich allmählich verloren. Weggegeben, weil ich glaubte, dann geliebt zu werden. Was für ein mieses Tauschgeschäft! Ich wusste es damals nicht besser.


Erst viele Jahre später wurde mir bewusst, dass mein Geschenk an den anderen nur eine Trophäe war. Der Trophäensammler konnte damit nichts anfangen. Schließlich verlor er das Interesse an mir, der jungen Frau, die ihr authentisches Selbst hergab. So war beides weg, die Liebe und mein größter innerer Schatz.


Den Verlust merkte ich schmerzlich. Doch es war zu spät, ich war so weit entfernt von mir selbst und versuchte, meinen authentischen Anteil zu vergessen. Mit ganzen Kräften versuchte ich, ohne das Wilde, Unangepasste zu leben und fügte mich in die Gegebenheiten. Recht und schlecht gelang es. Manchmal doch blitzte mein wahrer Kern auf in der Erinnerung und in Träumen. Wirklich vergessen konnte ich diese Seite von mir nie.


Funktionierend im Leben habe ich mich auf die Suche nach einer neuen Liebe gemacht. Doch kein Gegenüber konnte mir schenken, was mir fehlte. Eine harte, schmerzliche aber letzten Endes befreiende Erkenntnis.


Ich muss mir das Wilde zurückholen!


Ich suche die Liebe. In der fremden Umgebung schaue ich mich um, auf dem Weg, dann in der Wiese. Ich finde - ein großes und ein kleines Herz. Auffallend und glitzernd - unübersehbar. Ich laufe weiter und entdecke plötzlich überall Herzen: ein Stein, Blätter, ein Herz auf einer Streichholzschachtel. Alles Herzen, alles Liebe.


Ich werde nachdenklich – Muster und Glaubenssätze werden mir bewusst. Ich sehe mich Frösche küssend durchs Leben gehen, in der Hoffnung, sie ersetzten, was ich verloren habe - meinen authentischen Kern. Wie der Märchenfrosch alles einfordernd durch Königreich watschelte, war auch ich erstaunt über die Regeln des gegenseitigen Umgangs. Ich habe Liebe gespielt, ohne die Spielregeln zu klären. Keiner hat es mir erklärt. Wie froh wäre ich gewesen, initiierte, wissende Frauen in meinem Umfeld gehabt zu haben. Sie fehlten mir.


Seit meiner Visionssuche im letzten Jahr ist mir bewusst, dass das meine Aufgabe ist.





Ich bin wach geworden für meine Bedürfnisse und ich spüre immer feiner meine Umgebung. Ich spüre hin, wo ich stehe. Was macht das Draußen mit mir? Was erlebe ich zwischen den Gegensätzen der Welt: Tag – Nacht. Leben – Sterben. Gut – Böse.


Mein nächster Schritt hebt die Dualität auf: alles darf sein. Ich bin alles und ich lebe alles. Ich erfahre alles. Das macht mich frei. Was ich selbst erfahre, muss ich nicht von anderen gesagt bekommen. Es weitet meine Erfahrung. Ich muss mich nicht entscheiden. Alles darf sein.


Freiheit durch Losassen


Die große Göttin begleitet mich mit ihren Aufgaben weiter auf dem Weg der Erkenntnis.


„Kind, hast du dich abgenabelt von deiner Mutter?“

Ich wurde abgenabelt bei der Geburt. Das nährende Band wurde in sterilen, grell beleuchteten Räumen getrennt. Wenig feierlich. Ein medizinischer Akt.


Das zweite Mal habe ich mich selbst abgenabelt. Nicht mit dem Auszug aus dem elterliche Haus. Erst viel später. Ich habe meine Mutter freigegeben, als ich alle Verantwortung für mein Werden zu mir genommen habe. Das ist noch nicht so lange her. Ich habe mich frei gemacht von Wenns und Abers, von Schuldzuweisung und Erwartungen. Dieses zweite Abnabeln hat mich frei gemacht - und meine Mutter auch. Es hat Prozesse in Gang gesetzt und alte Rollen durften gehen.


Wenn wir die eigene Mutter frei geben, diese Verbindung lösen, kann sie selbst wieder Tochter sein - Tochter der großen Göttin. Erst dann sind wir bereit für den nächsten Schritt: nachdem wir die Mutter ent-bunden haben.


Ich streife durch den Obstgarten, die umliegenden Gehölze und den Teich mit offenen Herzen begrüßend. Was schenkt mir die große Mutter, wenn ich mich ganz bewusst von meiner physischen Mutter abnable?


Grenzenlose Fülle, antwortet sie mir.


Gebe dich der grenzenlosen Fülle hin und genieße sie – meldet mein System. Ohhha – die Fülle spüre ich schon den ganzen Sommer lang. Dieses Zuviel an allem, diese überschüssige Sommerenergie, diese unbändige Kraft. Die andere Information lässt mich aufhorchen. Sie ist wesentlich für mich: genieße sie. Genuss. Ist das der Schlüssel mit den überschießenden Energien umzugehen? Mit dieser Frage schlafe ich ein.


Nicht immer war mir diese Fülle bewusst. Es gab Zeiten im Leben, da ich mich von der Fülle abgeschnitten hatte. Fülle kann erst sein, wenn du alles bei dir hast, was zu dir gehört. Auch das Ungeliebte und Abgelehnte. Es war ein langer Prozess für mich, alles annehmen zu können.


„Der Lotos kommt aus dem Schlick.“

Oder Bayrisch: die Kacke von gestern ist das Geschenk von morgen. Genau das sehen zu können, war ein großer Schritt in mein Erwachsenwerden. Erst wenn ich es anerkenne, habe ich es zurück zu mir geholt. Damit ist meine Kraft, meine Macht wieder bei mir - nicht mehr bei anderen.



Ich fühle mich wohl in dem Rudel wilder Weiber. Was es so warm und behaglich macht? Nicht nur das Feuer, es ist das Sein unter initiierten Frauen, die um die Rhythmen des Lebens wissen, die wissen, dass der Lebensweg nicht linear ist. Die einfachen Weiber, unter denen es Schwesternschaft und keine Konkurrenz gibt.


Unsere Mütter waren nicht initiiert. Sie haben das männliche Prinzip gelehrt bekommen, gelebt und weitergegeben. Jetzt sind wir an der Reihe, den Wahnsinn des Höher-Schneller-Weiter zu durchbrechen und endlich wieder Kinder der großen Mutter zu werden, die sich den Rhythmen von Mutter Erde anvertrauen.


Als sich die schwarze Seite der großen Göttin offenbart, versetzt es mir einen Stich ins Herz:

Die Schnitterin begleitet mich auf dem Letzten Weg – im Lebensrad von Norden in Osten.


Loslassen. Alles loslassen. Wenn du alles mitnimmst, wird das Wahrscheinlichste passieren, nicht aber das Bestmögliche.

Es fällt mir schwer, loszulassen – gerade weil sich die Tage vor dem Wochenende etwas Neues auftut, etwas Ungewöhnliches anklopft in meinem Leben.


Loslassen, fordert die große Göttin unerbittlich.


Gut. Alles, worüber ich mich definiert habe, würdige ich, erkenne es an und lasse es dann los.

Ich streife von mir ab, was ich glaube zu sein. Ich fühle mich nackig. Leer.

Wie zur Bestätigung steige ich morgens bei Nieselregen in den Teich und schwimme eine Runde. So bin ich gekommen, so werde ich gehen. Wissend um die Mysterien und die Magie des Lebens.


Wir Frauen stehen an der Schwelle zwischen Leben und Tod. Wir gebären es und es sind die Frauen, die in Hospizen, in Altenheimen und Krankenlagern Menschen auf dem letzten Weg Seite an Seite mit dem Tod begleiten.


Ein großer neuer Raum geht auf. Ich werde nicht in alten Mustern hängen bleiben, die sich vor dem Weiberwochenende so gemütlich angeboten haben. Alte Muster zu durchbrechen ist eine harte Arbeit. Doch ich bin begleitet, von den Weibern und der großen Mutter.


Im letzten Schritt fordert die große Göttin, meinen Namen abzugeben. Waaas? Auch das noch? Nackt und namenlos. Meinen Namen, in den ich die letzten Jahre hineingewachsen bin, den ich lieben und leben lernte: Solveig – Weg zu Sonne.

Die große Göttin nimmt ihn mir fort:


„Der Osten im Lebensrad kann dir nicht geben, was möglich wäre, wenn du voller Definitionen steckst.“

Der Schatz des Weibseins


Ohne alles tauche ich in die Magie des Lebens. Ich nehme einen Platz ein, einfach weil er sich für mich auftut, da ist und auf mich wartet.


Ich messe mich, kurz vor meinem 57. Geburtstag nicht mehr mit den Messlatten der patriarchalen Welt. Ich messe mein Alter nach anderen Maßstäben:

  • Falten und Narben, die gelebte Erfahrung spiegeln,

  • ungefärbtes Haar, das zeigt, der wirkliche Wert liegt nicht im Außen.

  • ich renne nicht mehr mit, weil ich meinem eigenen Tempo vertraue,

  • mache keine miesen Tauschgeschäfte mehr, weil ich meinen Wert kenne,

  • lasse mich nicht mehr benutzen, weil ich gelernt haben, dass ich kein Objekt bin


All das sind die wahren Lebensschätze, Erfahrungen die mich mit den Rhythmen des Lebens vertraut gemacht haben und die mir die Fähigkeit geben, den Wandlungsprozess jüngerer Frauen begleiten zu können. Ich werde zu der Begleitung, die mir als junge Frau so gefehlt hatte.


Wir Frauen tragen das Leben, wir vollziehen den Wandel, wir sind die Spinnerinnen der Lebensfäden und weben sie gemeinsam Seite an Seite mit der großen Göttin.


Ich habe meine Reifeprüfung in der Wildnis bestanden – als initiierte Frau habe ich einen neuen Namen bekommen: Die nicht mehr allein geht. Das berührt mich sehr und ich bin gespannt, was das bedeutet.


Aho ♥

Danke Mia Brummer für dein Sein und dein Wirken, deine Weisheit und deinem Weben zwischen Märchen, andiner Tradition und Weibsein, Humor und grandiosem Vorbild im Scheitern und Weitergehen.




Wenn die Reise durchs Frausein anspricht, wenn du auf dem Weg bist und gerade nicht weiterkommst, rufe nach mir. Ich bin schon ein Stück voraus gegangen, ich kenne den Weg und begleite dich.


Alles Liebe, Solveig ♥

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