Buenos Aires - ein bisschen Klischee
Gegen 8 Uhr am 9. November landen wir sanft. Ich spüre festen Boden unter mir und bin zufrieden, dass unser Pilot einen gute Job gemacht hat. Beim auschecken müssen wir nur kurz Aufenthaltsort in der Hauptstadt und das Ziel unserer Weiterreise angeben. Eine Zollerklärung ist zu unserer Überraschung nicht nötig. Wir schlendern zum Gepäck-Karusell. Schon von weitem sehe ich unsere große, „Flugmaß optimierte“ Pappkiste und eine der beiden blauen IKEA Tüten, mit denen wir das Gepäck umhüllt haben. Im gleichen Moment höre ich meinen Namen von einer jungen, uniformierten Frau mit einem Wust Zettel in der Hand rufen. Oh, oh … das heißt nichts Gutes. Richtig, eins der Gepäckstücke ist nicht mit uns geflogen, soll aber morgen ankommen. Ich erledige den Papierkram und freue mich über das Angebot, dass es in unsere Unterkunft geliefert werden soll. Inzwischen tauscht Roland Geld . Einen Schwarzmarkt, wie noch vor zwei Jahren gibt es nicht mehr. Die lange Warteschlange an der Bank bestätigt das. Ein Taxi bringt uns zu unseren Freunden, die in einem wunderschönen Häuschen in einer kleinen Seitenstraße im Stadtteil Paternal leben. In dieser winzigen Oase ist ein ÜberLeben in der Millionen Metropole möglich. Zur unmittelbaren Stadt zählen knapp 3 Millionen, zum Großraum Buenos Aires 12 Millionen … unvorstellbar für ein Landei wie mich. Nein, ich möchte nicht hier leben. Je weiter wir uns unseren Freunden nähern, desto ruhiger wird der Verkehr. Das Haus ist eins der wenigen in der Straße, dass einige Meter vom Bürgersteig zurückgesetzt ist. Das lässt Platz für einen kleinen, dicht bepflanzten Vorhof. Rolf schließt uns das Gartentürchen auf und wir folgen ihm durch einen schmalen, hohen Flur in die Küche. Es gibt Wasser zu trinken und viel zu erzählen... Die beiden Flügel der großen Küchentür sind geöffnet und erlauben einen Blick in den kleinen Innenhof, der übervoll mit Pflanzen gestellt ist. Ein Wein, dessen Blätterdach den gesamten Hof überspannt, dominiert das lebende Arrangement. Wunderschön. Hier lässt es sich an den heißen Sommertagen, die die Quecksilbersäule schon mal über 40 Grad steigen lässt, gut aushalten. Die Tage verbringen wir mit notwendigen Besorgungen und sind immer wieder froh, unsere kleine Rückzugsoase in dieser Metropole zu haben. Am nächsten Vormittag bekommen wir tatsächlich einen Anruf von Flughafen: Das Gepäckstück wird zwischen 11 und 12 geliefert. Wir wissen, dass wir in Argentinien sind und die Zeitangaben nur relativ. Wir feuen uns, als das Gepäck gegen 16 Uhr gebracht wird. Unsere Gastgeber, die eine sehr romantische Begebenheit zusammengeführt hat, sind Tango begeistert und pflegen diese Leidenschaft regelmäßig. Samstagabend fahren wir eine Stunde lang durch das belebte BsAs. An einer Kneipe mit riesengroßen offen stehenden Fenstern einigen Tischen davor halten wir ein. Neben dem langen Tresen und Bildgalerien an den Wänden dominiert eine große, mit Kacheln ausgelegter Tanzfläche den Saal. Sehr unterschiedlich gekleidete junge und alte Menschen schwardroniern an den Tischen in dem schummrig beleuchteten Raum der von Tangoklängen erfüllt ist. Anfängern werden auf der Tanzfläche Schrittfolgen beigebracht. Wir nehmen an einem kleinen Vierertisch am Eingang Platz. Der Tisch musste reserviert werden, so beliebt ist diese Lokal bei den Einheimischen. Ich glaube, wir sind die einzigen Touristen hier und ich fühle mich in Wanderschuhen und Reithosen etwas underdressed... Bald hält es unsere Gastgeber nicht mehr auf den Plätzen. Wie alle anderen folgen sie den Tangotakten mit aneinander geschmiegten Oberkörpern und einer für mich nicht fassbaren Schrifftolge. „Der Tanz der weggelassenen Schritte“ ist das Ergebnis von Rolands Kurzanalyse. Höhepunkt des Abends ist der Auftritt eines Tangosängers in mittleren Jahren, der von einem jungen Gitarristen begleitet wird. Das Publikum ist begeistert. Nur zwei Paare trauen sich auf die sonst gut gefüllte Tanzfläche, die unregelmäßigen Taktfolgen sind schwer zu tanzen, bestätigen unsere Profis.
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