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Visionssuche - meine Verabredung mit dem Leben

Noch schnell eine Abwesenheitsnotiz im Emailprogramm anlegen und dann los. Über fünfhundert Kilometer liegen vor mir - und 10 Tage Auszeit. Mein Herz hüpft: endlich wieder Berge sehen, spüren, fühlen. Und Ruhe nach arbeitsreichen Monaten.


Zwei Jahre lang klopft schon die Visionssuche bei mir an. Die Kraft des Waldes kenn ich, schließlich hat er mit 2017 das Leben gerettet. Doch eine Visionssuche hat nochmal einen anderen Stellenwert. Anfang des Jahres wird der Ruf dringender. Mein neues, berufliches Leben schien zu scheitern und ich hatte keinen rechten Plan, welche, meiner Tausend Ideen ich durch den Lockdown jonglieren und weiter verfolgen und welche loslassen soll? Und endlich, als ich Mia Brummer, eine bodenständige, bayrische Schamanin kennenlerne, weiß ich, jetzt ist die Zeit reif. Jetzt bin ich reif für diesen Schritt.


Wenn der Schüler so weit ist, wird sich der Lehrer zeigen.

Während mein Herz hüpft, grummelt es in meinem Magen. Schließlich fahre ich ja nicht in den Urlaub, sondern zur Visionssuche. Dieses uralte Übergangsritual kennen wir von den Indigenen Nordamerikas. Nicht so bekannt ist, dass es auch eine europäische Tradition gibt. In Krisen oder bei Lebensübergängen bittet man um eine Vision, eine Antwort, einen Schutzgeist, einen Wink der Naturseele oder Gottes. Mein Grummeln wird nicht von der Angst vorm Draußen- und Alleinsein gespeist. Ich schlafe ja regelmäßig allein im Wald. Es sind Fragen wie "Was, wenn ich keine Vision bekomme?" "Und wenn, kann ich sie umsetzen?" ...


Nun also steht es fest: Für vier Tage und vier Nächte verabschiede ich mich von allem, was unsere Zivilisation ausmacht. Essen, Gemeinschaft und in der letzten Nacht auch noch vom Schlaf.


Was bleibt übrig von mir, wenn ich ohne schützende Wand, allein mit den Wesen der Natur Zeit in der Wildnis verbringe?

Viele meiner Fragen konnten Mia und Inge, die liebevollen Begleiterinnen der Visionssuche, beantworten. Doch die Frage der Frage, was mir da draußen widerfährt, werde ich erst am Berg beantwortet bekommen.


Meine erste Hoffnung, hier Ruhe zu finden, zerplatzte wie ein Luftballon an einem frisch gewetzten Messer. Die warmen Sonnentage hatten die Bauern zu einer weiteren Heuernte animiert. Die Maschinen ratterten mit Getöse über die Bergwiesen und verwandelten die Heidi-Idylle in eine "Lärmwiese".


Meine erste Erkenntnis: Was ich ablehne, wird mich überallhin verfolgen. Denn ich nehme mich ja selbst überall hin mit ;-).


Der Bestätigungssatz mit dem wir in die Wildnis gehen, wird in den vier Vorbereitungstagen akribisch erarbeitet. Was will ich verabschieden und was darf Neues kommen? Ich habe lange daran gebastelt. Er sollte voller Bedeutung sein und in seiner Tragweite der Visionssuche entsprechen. Doch alles, was meinem Kopf entsprang, fühlte sich konstruiert an. Dann endlich. Ein Satz voller Leichtigkeit aus meinen Kindertagen wird mich auf meiner Zeit am Berg begleiten. Und darüber hinaus, wenn anspruchsvolle Situationen an mir nagen.


Der Bestimmungskreis - Angang und der Ende der Visionssuche

An den Tagen vor der Quest streifte ich durch durch den Wald, um meinen Platz zu finden. Allein meiner Faulheit - oder nennen wir es den bewussten Umgang mit meiner Energie - verdanke ich es, dass ich nicht gleich Richtung Berggipfel losgelaufen bin. Denn der Wasservorrat für vier Tage muss zum Platz gebracht werden. 16 Liter! Nach dem ersten Kasten beschließe ich, das Wasser aus dem kleinen Bächlein zu trinken und ersparte mir die weitere Schlepperei.


Mit einer letzten Tasse warmen Tee verabschiedete ich mich von der Zivilisation und werde aus der realen Welt in das Reich der Spirits geräuchert. Mit dem Duft der Waldgöttin Artemis in der Nase und meinem Rucksack auf dem Rücken schlenderte ich los. Bergauf bis zu "meiner" Waldlichtung.


Ich begrüße die Wesen des Platzes und bitte sie, mich für die nächsten Tage in ihre Gemeinschaft aufzunehmen. Ich bekomme Antwort: ein Pferd wiehrt. Eine eindeutige Einladung bestätigt meine innere Stimme. Ich bin sehr erleichtert, denn schließlich hat mir Luzi, meine verstorbene Stute die ganze Geschichte "eingebrockt".


An der Nordecke eines gerodetes Waldstückes richte ich mein Zuhause für die nächsten 100 Stunden ein. Von dort überblicke ich die kleine Lichtung, die mit blühendem Dost übersät ist und hunderte Schmetterlinge anlockt . Auf der 10 x 10 Meter großen Wunde im Wald greifen Leben und Tod ineinander, bedingen einander und sind Ursache und Wirkung zugleich - das Rad des Lebens liegt mir zu Füßen.


Ich betrachte meine direktes Umfeld. An einem Baum hinter meinem Zuhause entdecke ich Nüstern und Pferdeaugen. Unglaublich! Ein Pferd schaut mich an.

"Lebe die Achtsamkeit und fühle sie im Herzen."

Dankbarkeit durchströmt meinen Körper für diese Botschaft.


Mein Zuhause für 100 Stunden Einsamkeit in der Wildnis

Jeder der folgenden vier Tage ist der Qualität eines der Quadranten des Medizinrades gewidmet.

Mit dem Süden geht es los. Kindliche Neugier und Entdeckerfreude tragen mich durch den Wald immer bergauf. Ich entdecke Wege, die plötzlich aufhören und grandiose Ausblicke schenken, wenn man am scheinbaren Ende weitergeht. Ich entdecke Botschaften an Bäumen, die mir den Weg zum Gipfel weisen und eine Stimme, die mir sagt, dass ich einem vorgegebenen Weg nicht folgen muss. Das finde ich entlastend.


Ich bin hellwach und habe vier Tage lang keinen Hunger, fühle mich aber doch etwas schlaff.


Die Nacht läutet den Westen im Rad ein. Gewitter. Meine Gedanken tanzen. Bin ich in Gefahr?

Der Wald steht voller Buchen. Buchen sollst du suchen, fällt mir ein. Ich weiß, dass dieser Glaube keinerlei wissenschaftlichen Hintergrund hat. Doch der Bär vor meinem Tarp und das in Rücken beschützen mich und ich schlafe beruhigt ein.


Der Westen im Rad - die Begegnung mit den Schatten und Dämonen - kündigt sich gleich am Morgen an. Mir geht es hundeelend und ich kotze mir die Seele aus dem Leib. Dreimal Kotzen heißt abbrechen. So lautet eine der Sicherheitsregeln. Ich will nicht abbrechen! Aufgeben ist keine Option, war es noch nie für mich. Ist das meine Lektion? Soll ich das Aufgeben lernen? Ich bekomme starke Schmerzen. Ich kenne diese Schmerzen aus meiner Kindheit. "Wachtums-schmerzen" beruhigten mich meine Eltern damals. Und jetzt: Schmerzt auch die Seele, wenn sie wächst?


Ich entschließe mich, alle Vermeidungsstrategien, die ich als Kind entwickelt habe, fallen zu lassen und den Schmerz auszuhalten. Ich gebe mich der großen Mutter hin. Weinend liege ich bäuchlings auf dem Boden und erTRAGE mein Leid. Ich bettle Mutter Erde an:


"Bitte. Bitte pacha-mama, mach´ was, dass diese Schmerzen aufhören."

Meine Hände krallen sich in den weichen, feuchten Waldboden und irgendwann schlafe ich ein. ich bekomme einen sehr lebendigen Traum geschenkt. Gerade, als ich die Botschaft auf den Bildern mit farbig hinterlegten Schriftzügen lesen will, wache ich erstaunt auf.


Ich liege immer noch auf dem Waldboden. Meine Schmerzen sind weg.


Schade. Zu gern hätte ich noch zu Ende geträumt und die Schrift entziffert. Stattdessen rapple ich mich auf und laufe die wenigen Schritte zur Hangkante. Ich schaue ins Tal und auf meinen Pferdekopf. Plötzlich höre ich eine Melodie. Dann kommt ein Text dazu. Ein Lied. Ein Seelenlied. Ich schreibe den Text auf und Tränen laufen über mein Gesicht. Luzi hat zu mir gesprochen, sie ist bei mir, ihre Seele ist mit mir. Ich bin berührt, weich und gleichzeitig oder gerade deshalb fühle ich mich bereit für die Sterbehütte. Davor hatte ich riesigen Respekt. Was wird dich in dem Ritual zeigen?


In der Dämmerung betrete ich meinen Schutzkreis und erlebe die letzten Stunden vor meinem Tod.


Im Angesicht des Todes verschieben sich die Wertigkeiten.

Was ist wichtig? Was ist es wert, gelebt zu werden? Was darf ich verabschieden?


Später liege ich im Schlafsack und muss immer wieder meine Hände wärmen. Es ist kalt geworden und es regnet. Schon seit Stunden trommeln fette Tropfen auf meine Tarp und bilden einen See, den ich regelmäßig leeren muss. Blöd gebaut, denke ich und habe keine Lust, die Schlafsackwärme zu verlassen, um die Konstruktion zu verändern. Dann kommt der Regen von der Seite und peitscht mir Nieselschauer ins Gesicht. Ich will nicht aufstehen. Ich will meine Komfortzone nicht verlassen.


Dann muss ich: Der heftige Wind hat eine Ecke meiner Konstruktion, die ich als Sonnenterrasse gedacht hatte, losgerissen. Schlampig gebaut, schnauzt mein innerer Kritiker. Ich verankere die Ecke am Boden und schlage damit zwei Fliegen mit einer Klappe. Der See im Tarp kann sich nicht mehr füllen und der Wind peitscht die Tropfen nicht mehr in mein Gesicht.


Der Regen tobt weiter. Ein bedrohliches Rauschen dringt zu mir. Der Bach! Erschrocken checkt mein Kopf meinen Schlafplatz. Bin ich in Gefahr? Es müssen gewaltige Wassermassen das Bachbett hinunterdonnern. Als ich realisiere, dass ich nicht fortgespült werden kann, werde ich ruhig und höre dem Schau- nein Hörspiel zu. Zwischendurch zähle ich die Sekunden zwischen Blitz und Donner. Sieben, acht, neun ... Im Licht der Himmelserscheinung sehe ich immer wieder die Silhouette von Großmutter Bär auftauchen und fühle mich beschützt wie ein Kind, geborgen im Schoß von Mutter Erde. Ich singe mich in den Schlaf: Oh grandmother bear i won´t you be here..


"Stromern heißt dem Herzen folgen."

Nichts zu tun. Ich muss nichts. Nicht wandern, nicht reiten, keine Pferde versorgen, nicht essen, nicht anrufen, nicht lesen. Nichts tun, nur sein. Wie Sonne, Regen, Wind. Meinen Impulsen folgen oder auch nicht. Nichts ist dringend. Ich liege auf der Erde, blinzle in die Sonne und beobachte die Wolken. Wer bin ich? Im Moment bin ich der leere Knochen. Offen für das, was kommen mag.


Die Sonne hat mich aus dem Wald gelockt. Ich habe mich auf meine "Lärmwiese" gewagt. Und Stille gefunden. Die Stille in mir, unabhängig vom Außen.


Meine Erkenntnis: Widerstände verbergen den Schatz.


Unter einer alten Eiche richte ich mein Tageslager ein. Hier genieße ich den Blick in die Ferne, hinein ins Tal und hinüber auf die gegenüberliegenden Almen. Diese Weite macht mein Herz weich und unendlich weit. Eine Dankbarkeit strömt durch mich hindurch. Ich fühle es wieder: das Angebundensein an Mutter Erde und Vater Himmel, eingebettet in den unendlichen Strom der Lebendigkeit, als Teil eines großen Ganzen.


Mein Mareinkräutersträußchen

Wie endlos lang so ein Tag ist. Wie langsam die Sonne unterwegs ist. Keine Mahlzeiten strukturieren den Tag. Nur der Lauf der Sonne. Es ist, als ob die Zeit still steht. Dann zücke ich mein Buch, meinen Stift und schreibe. Es schreibt mich. Gedanken fallen mir zu. Erkenntnisse. Kein Ringen ist nötig. Nur Zeit. Nur Sein. Nur Offenheit.


In der Welt der Spirits fühle ich mich zu Hause und angenommen. Sie werden mir immer vertrauter. Aber wie ist das in der Menschenwelt? Ich scheue den Lärm und städtisches Getümmel. Erkenntnis: Offenbar muss ich mich dem "Lärm der Welt" stellen, um auch dort Liebe zu finden. Ich bin ein Kind der großen Mutter, pachamama, auf der Suche nach wahrhafter Liebe. Liebe, die nicht verändern will. Liebe, die aus der Essens des Seins gespeist wird.


Für die letzte, die Wachnacht ziehe ich um. Ich baue mein Zuhause ab und bedanke mich bei den Seelenwesen, die ihren Platz mit mir geteilt und mich beschützt haben.

Geborgen an der alten Fichte

Eine alte Fichte lädt mich ein. Sie spricht von Vertrauen, dass ich nachts bei ihr finden werde. Ich lasse mir Zeit und baue eine kunstvollen Schutzkreis aus Steinen, Fichtenzapfen, Bucheckern und Buchenzweiglein, die am Boden liegen. Eine kleine Tür lasse ich offen, die ich erst heute Abend schließe, wenn ich mich zu Nacht zurückziehe, um wach zu bleiben.


Als es endlich dämmrig wird, betrete ich meinen Schutzkreis. Jetzt schließe ich die Tür. Zu. Ich bin aufgeregt. Was wird in dieser Nacht passieren?


Ich trommle und reise. "Was muss ich tun?" frage ich die alte Holle.

"Du weiß, was du tun musst, Mädchen."

Ich bekomme klare Anweisungen für einen Ort in meinem Wald und Zeiten, wo ich mehr erfahren werden.

"Du musst nicht allein gehen." waren ihre letzten Worte. Ja, das wünsche ich mir.


Ein Fohlen, ein Puma und großes, weißes Pferd huschen an mir vorüber. Dann muss ich eingeschlafen sein. Erst als ich friere, wache ich wieder auf. Es dämmert bereits. Und ich erinnere mich an ein Geschenk: einen weiteren Traum.


Zurück im Kreis - wir teilen unsere Geschichten

Zurück im Kreis teilen wir unsere Geschichten. Wir gehen nicht nur für uns in die Wildnis. Es ist keine Egotripp. Jede unserer Geschichten bringt Heilung für uns und Menschen, die sich selbst in den Geschichten erkennen.


Meine Visionssuche ist noch keine vier Wochen her. Ich trage die Erlebnisse wie einen kostbaren Schatz in mir. Einiges teile ich, um Heilung, die ich erfahren durfte weiterzugeben.


Vier Tage nichts zu essen hat mich durchlässig werden lassen. Und obwohl ich schon gefastet habe, fühle ich meinen Körper erstmals als meinen Tempel. So rein, so wertvoll, so ein Geschenk. Neu geboren. Die alte Haut ist abgestreift, die neue noch zart, verletzbar. Ich wachse hinein. Ein Jahr, verrät uns Mia braucht es, um anzukommen. Ich spüre schon jetzt die gewaltigen Veränderungen in mir und das was sich im Außen manifestiert.


Ich begrüße das Leben in meiner neuen Haut

Solveig Schmidt, 2021 www.solveigschmidt.jetzt














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