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Wir begegnen dem Teufel und landen in Fegefeuer

Ich sitze im Schatten eines übermannshohen Busches mit grünen Blättern, die an zu klein geratene Buchenblätter erinnern, während die Sonne über dem Tal des Arrojo Zaña Zaña brütet. Ich genieße die angenehme Kühle unter meinem Schattendach des Ñiere-Strauches. Darauf musste ich zwei Monate verzichten. Erst gestern haben wir auf unserem Weg in den Süden, nach über 500 gerittenen Kilometern die baum- und strauchlose Region in den Andentälern verlassen. Wir haben Nordpatagonien erreicht. Die trockene Provinz Mendoza liegt hinter uns.

Patagonien – dieses Wort klingt wie ein Zauber in meinen Ohren. Vor sechs Jahren ritt ich das erste Mal durch die einsamen Landstriche am anderen Ende der Welt. Seine Wildheit und das Gefühl der Freiheit haben mich gefesselt. Seitdem lebe ich mehrere Monate im Jahr mit Roland, dem Weitreiter und unseren drei Pferden Jefe, Söckchen und Inan unter freiem Himmel in der Bergwelt der Anden. Wie Nomaden ziehen wir von einem Tal ins nächste, schlagen das Nachtlager an Plätzen mit Gras für unsere Pferde auf, um am nächsten Tag weiter zu ziehen.

Aufregende Kilometer liegen hinter uns. Wir sind mit den Pferden auf 3100 Meter geklettert, um einen Pässe zu überqueren. Näher war ich dem Himmel mit Pferden noch nie! Was für Ausblicke, wenn die einsame Bergwelt zu Füßen liegt. Nur das Pfeifen des Windes unterbricht die Stille und mahnt uns zum Abstieg. Wie gut, dass wir mit der Überquerung gewartet haben. Nach dem Durchzug einer Kaltfront hat sich auch der Wind beruhigt. Wetter- insbesondere Windinformationen rufen wir über Satellit ab. Aber nur dann, wenn wir sehr hohe Pässe überwinden müssen oder mehrere Stunden in großen Höhen unterwegs sind. Jeder Information muss bezahlt werden.

Wir lieben beide das Abenteuer, doch immer zählt die Sicherheit unserer Pferde mehr als ein tolles Erlebnis. Das bedeutet, aufgeben und umkehren zu können. Aufgeben wird auch als Scheitern betrachtet und das ist in der Leistungsgesellschaft negativ belegt. Ist das wirklich so? Scheitern eröffnet neue Wege und Möglichkeiten. Und so gesehen ist es ein sehr kreativer Impuls.

Die Teufelsmauer

Wir stehen vor einer gigantischen Felswand, der Teufelsmauer nahe der Laguna Fea. Und tatsächlich drohnt ganz oben eine Felsformation, deren Anblick an das Gesicht des Teufels erinnert. Ungläubig schauen wir uns an. „Dort wollen wir hoch…?“ Gaucho Jose ermuntert uns. „Si, es posible“ und zeigt uns den Einstieg in den senda de caballo, einen Pfad für Pferde. Ich schaue ins Tal zurück und kann noch immer nicht fassen, dass ich in dieser Wand reite! Zu meiner Überraschung ist der Weg nicht so schwer, wie ich vermutet hatte.

Wie gut es doch ist, sich an das scheinbar Unmögliche heranzuwagen!

Der Aufstieg ist geschafft. Saftiges Gras erwartet uns für eine Rast in luftiger Höhe über 2000 m. Wir genießen den wundervollen Ausblick ins Tal auf den tiefen Canon des Arrojos nicht lange, denn wir haben einen mehrstündigen, unbekannten Abstieg ins nächste Tal noch vor uns. Anfangs sind Hufspuren auf dem gut sichtbaren Pfad erkennbar. Diese enden im Fels. Ich warte mit den Pferden auf einem schmalen Felsvorsprung, während Roland die weitere Strecke erkundet. Nach 20 Minuten kommt er zurück. „Der Abstieg ist gefährlich. Die Pferde müssen eine Felsstufe bergab im steilen Gelände springen,“ kommt Roland ernüchtert zurück. „Was machen wir?“ Ich hatte von oben eine andere Passage im Blick und erkunde diese. Doch auch hier kommen wir ohne Sprünge im Fels nicht weiter.

Rückzug am Nadelöhr

Wir sind uns einig: Das Risiko gehen wir nicht ein. Die Unversehrtheit der Pferde ist wichtiger als ein neuer Weg. So zwingt uns das Nadelöhr von wenigen Metern zur Umkehr. Wir steigen die gewaltige Teufelsmauer wieder hinunter und erreichen in der Dämmerung einen Übernachtungsplatz. Am nächsten Morgen verlassen wir das Tal über einen anderen, ungefährlichen Pass und steigen ins Tal des Arrojo Varvarco ab.

Nach dem steilen Aufstieg freuen sich die Pferde über eine Futterpause auf einer saftigen, hochgelegenen Alm während des Abstiegs. Während ich mit einem winzigen Feuerchen das eiskalte Wasser aus dem Quellbächlein, das die kleine Alm versorgt, in der Gauchokanne für einen Mate erwärme, genieße ich den Ausblick auf die gegenüber liegende Bergkette. Doch was entwickelt sich dort? Binnen 20 Minuten verschwindet die Flanke in dickem Qualm. Spuckt ein Vulkan wieder Asche? Wir überlegen kurz. Windrichtung und der uns bekannte aktive Vulkan passen nicht zusammen. Und dann riechen wir es: Feuer! Der Qualm verdunkelt die Sonne. Das gemütliche Matetrinken fällt aus. Schnell steigen wir ab und peilen das Puesto, das wir im Tal sehen an. Hoffentlich wissen die Gauchos mehr. Notfalls müssen wir über den Pass zurück ins sichere Tal klettern.

In Minutenschnelle verschwindet die Sicht und es riecht nach Rauch

Wir fragen am Puesto nach dem Brand

Die Gauchos sind unbekümmert und geben sich ahnungslos. Da sich der der Himmel wieder lichtet, reiten wir weiter talabwärts. An einem Puesto mit bestem Gras und wunderschönem Ausblick auf die Laguna Varvarco Campos schlagen wir unser Nachtlager auf. Ein Gaucho kommt bis zum Abend nicht. Ich genießen den Blick im stockdunklen Tal auf das Sternenmeer am Himmel und fühle mich winzig und unbedeutend. Ich bin ein winziges Pünktchen Leben in der riesigen Andencordillere.

Ein heller Lichtschein reißt mich aus den Gedanken. Feuer!

Keine 500 Meter von uns entfernt. Sind wir in Gefahr? In Minutenschnelle überlegen wir einen Notfallplan. Der meterhohe Steinkorral an der Talseite auf der anderen Seite der nassen Mallin würde uns und unseren Pferden Schutz geben, sollte sich das Feuer in unsere Richtung fressen. Noch steht der Wind günstig und bläst die Flammen von uns weg. Roland läuft los. Das hügelige Gelände verschlingt den Schein seiner Taschenlampe. Ich warte bei unseren Pferden und fühle mich noch winziger und noch unbedeutender.

Nach einer Stunde mache ich mir Sorgen, weil Roland nicht zurück kommt und ich auch den Schein seiner Taschenlampe nicht mehr sehe. Jedoch ist der Feuerschein erloschen. Das beruhigt etwas. Endlich höre ich Roland pfeifen und Augenblicke später sehe ich den Schein seiner Lampe auf unser Lager zukommen.

„Das glaubst du jetzt nicht…“ feuert er meine Neugier an.

Die graue Hose ist bis zu den Knien schwarz. „Der ganze Hang muss heute gebrannt haben. Ich habe die Feuernester mit meinem Hut und Wasser aus dem Arrojo gelöscht. Wird der Wind nicht stärker, sollten wir Ruhe haben.“

Ich stelle mir vor, wie die trockenen Grasbüschel abgefackelt sind. Seit Monaten hat es nicht geregnet. Zum Glück gibt es hier keine Sträucher und Bäume. Wir wollen uns gerade schlafen legen, blitzt an anderer Stelle eine hellgelbe Lichtfontäne auf. An Schlaf ist in dieser Nacht nicht zu denken.

Abgebrannt

Ein alter Steinkoral hätte uns schützen können






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